Reizüberflutete Kinder: 13 Tipps zur Prävention und 7 Tipps für den Umgang
Elisa Morel
Jeder von uns hat Reizüberflutung schon erlebt, sei es in einer vollen Innenstadt, einer (fremden) Metropole oder bei einem aufregenden Event. Daher wissen wir auch alle, wie anstrengend und auslaugend eine solche Situation sein kann, auch wenn wir vielleicht sogar Spaß an einem besonderen Erlebnis haben.
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Erwachsene Menschen können mit Reizüberflutung allerdings besser umgehen als Kinder – zumindest, wenn sie neurotypisch sind. Da Reizüberflutung immer Stress bedeutet, gilt es, Kinder davor zu schützen. Erfahren Sie in diesem Beitrag, welche Gründe es für Reizüberflutung bei Kindern gibt, welche Symptome sich zeigen und wie Sie Ihren Kindern nicht nur aus der Überreizung heraushelfen, sondern bestenfalls verhindern, dass es überhaupt dazu kommt.
Inhalt
1. Was bedeutet Reizüberflutung?
2. Reizüberflutung bei Kindern
2.1. Ursachen von Reizüberflutung
2.2. Formen der Reizüberflutung
2.3. Ursachen von Reizüberflutung
2.4. Formen der Reizüberflutung
3. 13 Tipps zur Prävention von Reizüberflutung bei Kindern
4. 7 Tipps für den Umgang mit reizüberfluteten Kindern
5. Neurodivergenz als Ursache von Reizüberflutung
5.1. Reizüberflutung bei ADHS und ADS
5.2. Reizüberflutung bei Autismus
5.3. Reizüberflutung bei Hochsensibilität
5.4. Reizüberflutung bei Synästhesie
Reizüberflutung bei Kindern
Während die meisten Erwachsenen gelernt haben, unwichtige oder auch störende Reize auszublenden und Reize generell zu verarbeiten, stehen Kinder noch am Anfang ihrer Entwicklung. Folglich kommt es bei ihnen auch öfter zu einem Zustand der Reizüberflutung.
Ursachen von Reizüberflutung
Auch positive Dinge können eine Reizüberflutung auflösen – zu viel Neues auf einmal ist zu anstrengend. Wenn ein Kleinkind beispielsweise zum ersten Mal auf einem Bauernhof ist, einen Mähdrescher sieht und hört, ein Kälbchen streichelt, den Schweinestall riecht und auf einem Pony reitet, werden alle Kanäle mit Reizen bombardiert.
Neue Erfahrungen zu machen ist wichtig, damit sich die verschiedenen Sinne im Gehirn vernetzen können. Doch die Dosis ist entscheidend: Je jünger das Kind, umso schneller ist es erschöpft von neuen Erlebnissen. Dann braucht es eben eine Pause statt weiterer Reize. Ein Überangebot an Aktivitäten und Eindrücken ist einfach zu viel des Guten.
Doch natürlich gibt es auch negativere Ursachen von Reizüberflutung. Dazu gehören z. B.:
- Lärm
- grelles oder buntes Licht
- elektronische Medien wie Handy, Fernseher, Konsolen
- überfordernde Umgebungen, in denen einfach zu viel los ist, was man riechen, sehen, hören, anfassen kann
Formen der Reizüberflutung
Es können verschiedene Formen der Reizüberflutung auftreten. Achten Sie daher in Ihrem Alltag nicht nur auf das Verhalten Ihrer Kinder in verschiedenen Situationen, sondern auch auf die jeweils damit einhergehenden Reize. So finden Sie heraus, wann es zu viel ist und können gegenwirken.
Die vier Typen der Reizüberflutung sind:
1. Visuelle Reizüberflutung
Auslöser von visueller Reizüberflutung sind z. B. Licht, Blinken, Farben, sich bewegende Dinge oder einfach nur eine große Anzahl an Dingen.
Überlegen Sie also, auf welche Reize und vielleicht auch Deko Sie in ihrer Einrichtung verzichten können. Blinkender Weihnachtsschmuck mag hübsch aussehen, aber ist sowohl eine Ablenkung als auch auf Dauer anstrengend. Vielleicht geht es Ihnen ähnlich, wenn Sie auf einer Webseite landen, auf der sich einzelne (Werbe-)Elemente bewegen. Auch eine chaotische Bastelecke wird nicht dazu beitragen, dass Ihre Kinder entspannt an ihren kleinen Kunstwerken arbeiten. Achten Sie daher auf Struktur und beherzigen Sie den Grundsatz: Weniger ist mehr.
2. Akustische Reizüberflutung
Nicht nur ein hoher Lärmpegel, sondern auch die Gleichzeitigkeit verschiedener Geräuschquellen kann eine akustische Reizüberflutung hervorrufen.
Während Sie sich bestimmt trotz anderer Gespräche im Raum, des Geräuschs eines zu Boden fallenden Gegenstands und leiser Musik auf ihre Aufgabe konzentrieren können, haben Kinder das noch nicht gelernt. Verzichten Sie also z. B. auf Musik, wenn die Kinder sich unterhalten, und denken Sie über die Anschaffung von Schallschutzelementen nach, sollte das Lärmlevel in Ihrer Kita eher hoch sein.
3. Emotionale Reizüberflutung
Zu viele verschiedene Emotionen auf einmal oder in kurzer Zeit können zu einer emotionalen Reizüberflutung führen. Vermeiden Sie also enttäuschte Hoffnungen, Willkür, Stimmungsschwankungen und Doppelbotschaften. Aber das sollte ja selbstverständlich sein.
4. Kognitive Reizüberflutung
Kognitive Reizüberflutung entsteht, wenn die Kinder mit einer zu schwierigen Aufgabe oder zu vielen Informationen auf einmal konfrontiert werden. Da sich jedes Kind in seinem eigenen Tempo entwickelt, ist es wichtig, die Kinder gut zu kennen, damit Sie richtig einschätzen, was Sie Ihnen schon zutrauen können. So verhindern Sie Frustration und Überforderung.
Symptome von Reizüberflutung
Nicht jedes Kind reagiert identisch auf Überreizung und Überforderung. Während die einen vielleicht einen Tobsuchtsanfall bekommen oder leise vor sich hin weinen, ziehen sich andere in sich selbst zurück oder ergreifen die Flucht.
Feststeht: Jedes Symptom ist ein Zeichen dafür, dass es dem Kind (gerade) nicht gutgeht. Und selbst, wenn die Ursache dafür nicht in einer Reizüberflutung liegen sollte, müssen Sie genauer hinschauen, damit Sie dem Kind helfen können. Die häufigsten Symptome von Reizüberflutung bei Kindern haben wir Ihnen in einer kleinen Grafik zusammengefasst.
Übrigens: Babys zeigen natürlich andere Symptome, wie das Abwenden des Blicks oder Kopfes, das Ballen der Fäuste, Quengeln, Überstrecken, hektische Bewegungen oder trotz Müdigkeit die Unfähigkeit, Schlaf zu finden.
Folgen von Reizüberflutung
Die Folgen von Reizüberflutung können frappierend sein. Wenn Kinder zu vielen Reizen auf einmal ausgesetzt sind, stoppt die Entwicklung des Gehirns. Somit verlieren die Kinder die Lust, Neues zu erleben und auszuprobieren, was wiederum fatal für die kognitive Entwicklung ist, die sich verzögern kann.
Gleichzeitig leiden überreizte Kinder selbstredend unter ihren Symptomen und stehen dadurch unter zusätzlichem Stress. Außerdem besteht aufgrund ihrer Reizbarkeit oder unverhältnismäßigen emotionalen Reaktionen die Gefahr der sozialen Ausgrenzung. Ergo: Reizüberflutung braucht kein Kind. Glücklicherweise können Sie aber eine ganze Menge tun, um Reizüberflutung Ihrer Kinder vorzubeugen.
13 Tipps zur Prävention von Reizüberflutung bei Kindern
Die beste Reizüberflutung ist die, die gar nicht erst stattfindet. Mit ein paar einfachen Ideen und vielleicht einem neuen Blickwinkel auf alte Gewohnheiten bringen Sie mehr Ruhe in den Kita-Alltag und beugen so einer Überreizung vor.
Hier sind unsere 13 Tipps für Sie:
1. Setzen Sie Entspannungstechniken ein
Wenn Kinder früh lernen, wie sie zur Ruhe kommen, oder durch Entspannungstechniken vielleicht sogar zum ersten Mal wirkliche Ruhe erleben, haben sie zukünftig ein Werkzeug an der Hand, das sie nach Bedarf nutzen können.
Geeignete Entspannungstechniken sind z. B. Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung, Atemübungen oder Yoga. Mehr über Yoga im Kindergarten erfahren Sie in unserem Beitrag Katze, Kobra, Krieger – Yoga in der Kita.
2. Vermindern Sie (unnötige) Reize
Versetzen Sie sich einmal in die Lage eines Menschen, der Reize ungefiltert wahrnimmt, und entdecken Sie Ihre Räumlichkeiten neu – zuerst vielleicht zusammen mit einem Kollegen nach Feierabend oder am Wochenende.
Nehmen Sie sich die Zeit, jedem Sinneskanal einzeln nachzuspüren, und schauen Sie sich zuerst um: Was sehen Sie? Sind viele verschiedene Farben und Materialien durcheinandergewürfelt, stehen überflüssige Möbel oder Gerätschaften herum, müsste das Bastel- oder Spielregal nicht endlich mal (aus)sortiert werden? Wie wirken die Regale mit einem Rollo als Sichtschutz davor? Wie empfinden Sie die Beleuchtung? Wäre ein gedimmtes oder indirektes Licht angenehmer?
Achten Sie auch während des Kindergartenbetriebs auf verschiedene Gerüche, Geräusche und den Lärmpegel an sich. Anschließend können Sie im Kollegium überlegen, an welchen Stellen es möglich ist, Reize zu eliminieren. Die Ansätze dafür können völlig unterschiedlich sein. Denkbar sind z. B.:
- einfarbige Möbel und Decken
- Einnehmen der Mahlzeiten in Schichten/Kleingruppen/Büfett
- Anschaffung von Schallabsorber-Platten, Raumteilern oder Schallschutzmöbeln
- Entsorgung unnötigen Inventars
- neue Strukturierung der Räumlichkeiten
- räumliche Trennung verschiedener Tätigkeiten, z. B. in Lernateliers oder Themenräume
3. Sprechen Sie mit Kindern, Kollegen und Eltern
Je nachdem, wie gravierend die Themen Lautstärke, Unruhe und Reizüberflutung in Ihrer Einrichtung präsent ist, kann der Austausch darüber empfehlenswert bis notwendig sein. Fragen Sie Ihre Kinder nach dem eigenen Empfinden: Wie fühlen sie sich in unterschiedlichen Situationen? Dasselbe gilt auch für die Wahrnehmung Ihrer Kollegen, denn so haben Sie wahrscheinlich schon erste Hinweise auf einen eventuellen Verbesserungsbedarf.
Auch ein Elternabend kann helfen, um Familienmitglieder zu sensibilisieren – und um Feedback einzuholen, wie sich die Kinder zu Hause verhalten, womit sie ihre Zeit verbringen. Machen Sie transparent, dass Ihnen an einem entspannten Kita-Alltag gelegen ist, zum Wohl der Kinder. Klären Sie die Eltern auch gern über Reizüberflutung, deren Symptome und Folgen sowie damit einhergehende Probleme auf; vielleicht ist einigen gar nicht bewusst, dass ihr Sohn oder ihre Tochter dauerhaft unter Stress steht, oder sie sind mit der Frage überfordert, was sie dagegen tun sollen.
4. Schaffen Sie Rückzugsorte
Jeder Mensch und somit auch jedes Kind hat eine andere Belastungsgrenze. Während es den einen Spaß macht, im Morgenkreis zusammen zu singen, will ein anderer vielleicht lieber in einer Nische sitzen und malen. Auch das gemeinsame Einnehmen der Mahlzeiten ist nicht zwangsläufig für alle Kinder ein Vergnügen: Nähe, viele Menschen, viele Gerüche, die Kaugeräusche, ein Nachbar, der mit dem Essen matscht – da kann einem schon einmal der Appetit vergehen, wenn man beispielsweise hochsensibel ist oder eine andere Neurodiversität aufweist.
Bieten Sie den Kindern also die Möglichkeit an, sich zurückziehen zu dürfen – nicht, wenn, sondern bevor es ihnen zu viel wird. Dafür brauchen Sie geeignete Orte, falls noch nicht vorhanden. Überlegen Sie also, welche Rückzugsmöglichkeiten in Betracht kommen: Der Flur, ein Teil des Außenbereichs, ein Nebenraum, ein Schallschutzsessel, ein Einzeltisch mit Blick aus dem Fenster, eine Matte auf dem Boden in einer abgeschirmten Ecke?
Tipp: Manchmal reichen auch schon kleine Dinge wie die Bereitstellung von Kindergehörschutz oder ein Nickerchen im Ruheraum.
5. Entschleunigen Sie den Alltag
Nicht immer läuft alles wie am Schnürchen. Planen Sie also lieber für alle Aktionen und Übergänge einen Zeitpuffer ein. So stellen Sie sicher, dass auch Sie selbst und Ihre Kollegen entspannt bleiben – und das ist natürlich auch enorm wichtig für die Entspannung Ihrer Kleinen.
Wenn Sie zu viel an einem Vormittag schaffen wollen, artet das für alle Beteiligten in Stress aus. Damit ist niemandem geholfen. Und wenn irgendetwas gar nicht klappt, weil etwas anderes länger gedauert hat: Morgen ist auch noch ein Tag.
6. Sorgen Sie für klare Regeln und Struktur
Ein klar strukturierter Alltag gibt allen Kindern Sicherheit und Ruhe – und er erleichtert Ihnen die Arbeit. Werfen Sie also gern einen frischen Blick auf Ihre etablierten Strukturen und finden Sie heraus, in welchen Situationen es immer wieder stressig wird.
Besprechen Sie im Team, welche Veränderungen Sie eventuell vornehmen können, um für mehr Entspannung zu sorgen – vor allem bei Mikrotransitionen.
7. Üben Sie mit den Kindern Resilienz, Achtsamkeit und Frustrationstoleranz
Wer eine hohe Resilienz besitzt, lässt sich nicht so leicht aus der Fassung bringen. Achtsamkeit hilft bei sich, im Augenblick und ruhig zu bleiben – ohne Frustrationstoleranz kommt man nur schwer durchs Leben. Sie fahren also gut damit, Ihren Kleinen frühzeitig dabei zu helfen, diese Fähigkeiten zu entwickeln. Dadurch halten sie auch für sie herausfordernde Situationen besser aus und erfahren Selbstwirksamkeit, wenn sie feststellen, dass sie ihren Gefühlen nicht hilflos ausgeliefert sind.
8. Geben Sie den Kindern die Möglichkeit, sich auszupowern
Körperliche Aktivität wirkt sich positiv auf den Hormonhaushalt aus und senkt so den Stresspegel. Achten Sie also darauf, dass Ihre Kleinen regelmäßig die Gelegenheit haben, sich auszupowern, z. B. beim Toben und Rennen im Außenbereich, während der Turnstunde oder im Rahmen eines sportlichen Ausflugs.
9. Sorgen Sie für Ruhemomente
Nachdem die Kinder körperlich aktiv waren, bietet sich eine Ruhepause besonders an. Nehmen Sie sich regelmäßig die Zeit dazu – auch wenn oder besser, gerade weil der Kindergartenalltag oft anstrengend ist.
Vielleicht gibt es in Ihrer Einrichtung ja auch schon eine Ecke zum Snoezelen. Und wenn Sie dafür keine Kapazitäten haben, gibt es ausreichend andere tolle Möglichkeiten: Kuscheln Sie sich mit den Kindern in die Leseecke, machen Sie eine Traumreise mit Ihnen oder genießen eine Kamishibai-Vorführung bei Kerzenschein.
10. Verbringen Sie Zeit in der Natur
Zeit in der Natur zu verbringen ist für Kinder Gold wert. Geben Sie Ihnen also so häufig wie möglich die Chance dazu. Bei einem Waldspaziergang können sich die einen durch Klettern, Balancieren und Rennen verausgaben, während die anderen zur Ruhe kommen. Die Kinder können Tiere beobachten, Pflanzen befühlen und Waldluft schnuppern – und nebenbei auch eine ganze Menge lernen. Nach jeder kleinen Auszeit in der Natur sind die Kleinen im Idealfall erst einmal geerdet und entschleunigt.
11. Achten Sie auf eine gesunde Ernährung
Wer sich ausgewogen ernährt, ist glücklicher, leistungsstärker und gesünder. In der Kita wird also Wert auf eine gesunde Ernährung gelegt. Das hilft aber nur bedingt, wenn sich die Kinder außerhalb des Kindergartens vorwiegend von Fertigprodukten und Süßigkeiten ernähren. Sensibilisieren Sie also auch die Erziehungsberechtigten für eine gesunde Ernährung. Leider wird nicht allen bewusst sein, dass Zucker, Weißmehl und Zusatzstoffe nicht das Beste sind, was man seinem Körper gönnen kann.
12. Fördern Sie die Sinneswahrnehmung Ihrer Kinder
Die Welt mit allen Sinnen zu entdecken ist für die kindliche Entwicklung essenziell. Gleichzeitig hilft es den Kindern, zu sich selbst zu kommen, wenn sie z. B. etwas mit verbundenen Augen ertasten oder erschmecken, da sie sich so ganz auf einen einzigen Sinn konzentrieren können.
Nutzen Sie also alle Gelegenheiten, um Ihren Kleinen die Umgebung und auch Alltägliches mit verschiedenen Sinnen erfahrbar zu machen. Vielleicht haben Sie ja auch Lust, einen Barfuß-Sinnespfad anzulegen?
13. Seien Sie ein entspanntes Vorbild
Nehmen Sie sich selbst unter die Lupe: In welchen Situationen merken Sie, dass Ihr Stresslevel steigt? Woran liegt das? Wie können Sie diese Situationen verbessern – und wie gehen Sie mit Ihrem Stress um? Haben Sie eine Strategie, die Sie in (unvermeidbaren) Stresssituationen anwenden können?
Abgesehen davon, dass Stress gesundheitsschädlich ist, wirkt sich Ihr eigener Stress natürlich auch auf Ihr Umfeld aus. Und wahrscheinlich sind auch Sie nicht gern in der Gegenwart gestresster Menschen, weil Sie dann selbst nicht mehr entspannt sind.
Jedem Lebewesen ist Entspannung und Frieden lieber als Chaos und Stress. Versuchen Sie also, für Ihre Kinder der Ruhepol zu sein – gerade dann, wenn sie selbst nicht ohne Unterstützung zur Ruhe kommen können.
7 Tipps für den Umgang mit reizüberfluteten Kindern
Trotz aller guten Ideen wird es Ihnen nicht immer gelingen, Reizüberflutung bei Ihren Kleinen gar nicht erst entstehen zu lassen, denn in einer größeren Gruppe, bei gemeinsamen Aktivitäten oder aufregenden Ausflügen stürmen unvermeidlich viele (neue) Reize auf die Kinder ein.
Ferner haben Sie auch wenig Einfluss auf das Privatleben Ihrer Schützlinge: Wer z. B. schon im Kindergartenalter viel Zeit mit Handy, Konsolen, Videos oder TV verbringt oder ein lautes Zuhause ohne Rückzugsort hat, wird wahrscheinlich nicht jeden Morgen ausgeglichen in der Kita ankommen. Daher haben wir im Folgenden 7 Tipps für Sie zusammengestellt, wie Sie reizüberfluteten Kindern am besten begegnen.
1. Bleiben Sie ruhig, gelassen und verständnisvoll
Zugegebenermaßen ein sehr universeller Tipp, denn diese Eigenschaften legen Sie wahrscheinlich immer im Umgang mit Ihren Kindern an den Tag. Doch wenn ein Kind wirklich so überfordert ist, dass es aggressiv wird, und das vielleicht für Außenstehende auch noch aus heiterem Himmel, ist es nicht immer einfach, die Nerven zu behalten.
Behalten Sie im Hinterkopf, dass es dem betreffenden Kind gerade schlecht geht und es sich nicht anders zu helfen weiß – die Anspannung muss eben raus. Versuchen Sie, Ihrem Schützling das zu geben, was er oder sie gerade braucht.
2. Geben Sie dem Kind, was es gerade braucht
Das kann von Person zu Person unterschiedlich sein. Auch wenn das Kind noch zu klein ist, um sich Ihnen verbal mitzuteilen, werden Sie durch Beobachten, Ausprobieren oder Rücksprache mit der Familie wahrscheinlich schnell herausfinden, was dem Kind am besten hilft. Das kann die Lieblingsbeschäftigung sein, ein reizarmer Rückzugsort ohne andere Menschen, eine Ablenkung in Form eines Getränks oder Bewegungsablaufs, Körperkontakt oder einfach In-Ruhe-gelassen-Werden.
3. Richten Sie Rückzugsorte ein
Es ist immer eine gute Idee, auf Rückzugsorte zurückgreifen zu können. Richten Sie also ein paar kleine Oasen ein, die für die Kinder immer zugänglich sind. So haben sie auch die Option, sich eigenständig dorthin zu begeben, wenn sie eine Auszeit brauchen. Das kann Eskalationen vorbeugen – und einen Moment der Ruhe im aufregenden Alltag schätzen wir wahrscheinlich alle.
4. Vermeiden Sie weitere Überreizung
Wenn Sie bemerken, dass ein Kind überfordert ist oder bereits einen Meltdown oder Shutdown (s. Folgeabschnitt) hat, lassen Sie es nach Möglichkeit in Ruhe und reduzieren Sie Reize in der Umgebung, indem Sie sich z. B. mit den anderen Kindern ein wenig entfernen.
Viele reizüberflutete Menschen, vor allem solche mit einer Autismus-Spektrum-Störung, ertragen in der Situation weder Ansprache noch Körperkontakt, sondern wollen einfach ihre Ruhe, bis sie sich wieder gefangen haben.
Achtung: Sollte sich der Ausbruch in Aggressionen äußern, müssen Sie natürlich darauf achten, dass das Kind sich selbst und andere nicht verletzt, und ggf. einschreiten.
5. Entwickeln Sie mit dem Kind zusammen Strategien
Im besten Fall wissen die Kinder (oder deren Eltern), was ihnen in Momenten der Überreizung hilft. Erkundigen Sie sich also und geben Sie den Kleinen dann auch in den konkreten Situationen die Möglichkeit, genau diese Strategie zu nutzen. Wenn Sie Rückzugsorte sowie Bewegungsmöglichkeiten und Entspannungstechniken anbieten, entdecken manche der Kinder vielleicht auch, dass es doch etwas hilft, das ihnen Linderung verschafft.
6. Sensibilisieren Sie Ihre Kinder
Nicht alle Kinder sind reizüberflutet und bestimmt fühlen sich manche im größten Trubel so richtig wohl. Sprechen Sie trotzdem mit allen über das Thema, damit auch alle wissen, warum sich einige Kinder in bestimmten Situationen so verhalten oder sich aus Aktivitäten zurückziehen.
So stellen Sie nicht nur sicher, dass die ganze Gruppe sich gegenseitig unterstützt, sondern fördern auch Toleranz und Empathie Ihrer Kleinen. Und ganz nebenbei eignet sich dieses Gespräch auch hervorragend als Einstieg für das Thema Medienkonsum und Achtsamkeit.
7. Involvieren Sie ggf. die Eltern
Wenn Sie feststellen, dass bestimmte Kinder im Alltag immer wieder reizüberflutet, gestresst und überfordert sind, ist eine Rücksprache mit den Eltern klug. So finden Sie die Ursachen heraus und können gemeinschaftlich eine Lösung finden.
Denn wenn Sie in Ihrer Einrichtung Reizüberflutungen bestmöglich vorbeugen und damit in der Regel auch Erfolg haben, liegt die Vermutung nah, dass die Überreizung andere Gründe hat, die unabhängig von der Umgebung des Kindergartens sind.
Neurodivergenz als Ursache von Reizüberflutung
Jeder neurotypische Mensch kennt Reizüberflutung. Bei neurodiversen Personen setzt die Reizüberflutung früher ein und wirkt sich drastischer aus. Situationen, die für Nicht-Betroffene normal und entspannt sind, führen bei ihnen zu großem Stress, Überforderung oder Panik.
Das liegt z. B. daran, dass sie Reize entweder schlecht oder gar nicht filtern können oder sie deutlich intensiver wahrnehmen als Durchschnittsmenschen. Während uns beim Einkauf in einem vollen Supermarkt maximal all die Menschen und Schlangen an der Kasse stressen, nehmen viele Neurodivergente die komplette Skala der Reize wahr: All die bunten Schilder und Produkte, die Gerüche der Lebensmittel und Menschen, die Musik und Stimmen, die unterschiedlichen Lichtquellen – eben all die Dinge, die neurotypische Menschen durch Filtern ausblenden können.
Folglich kommt es bei Menschen mit Neurodivergenzen wie ADHS, ADS, Autismus oder Hochsensibilität öfter und schneller zu Reizüberflutungen. Haben Sie in Ihrer Einrichtung also Kinder, die davon betroffen sind, benötigen diese in bestimmten Situationen Rückzugsorte oder Strategien, um ihrer Überforderung Herr zu werden – und wie alle Kinder brauchen natürlich auch diese Ihr Verständnis und Ihre Empathie.
Reizüberflutung bei ADHS und ADS
Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung machen 3 bis 7 % der Bevölkerung aus. Sie können Reize nicht filtern, weil ihre Hirnchemie unbalanciert ist. Somit sind sie Risikokandidaten für Reizüberflutung, weil sie immer alles auf einmal wahrnehmen. Dadurch stehen sie permanent unter Stress. Je nach Subtyp des ADHS sucht dieser Stress sich sein Ventil z. B. in Wutanfällen und Aggression.
Schätzungsweise sind 3 bis 10 % der Menschen von ADS betroffen. Auch Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom können Reize nicht filtern, doch sie wirken eher zurückgezogen und zerstreut. Mehr Mädchen als Jungen haben ADS – bei ADHS ist es umgekehrt.
Mehr Informationen zu ADS und ADHS finden Sie auch in unserem Beitrag Ist das schon AD(H)S? Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-Syndrom erkennen und damit umgehen.
Reizüberflutung bei Autismus
Man schätzt, dass ungefähr ein Prozent der Menschheit dem autistischen Spektrum angehört. Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung können Reize nicht filtern. Folglich nehmen sie alle bestehenden Reize gleichzeitig wahr, und das kann schnell überfordernd sein.
Eine sensorische oder emotionale Reizüberflutung (Overload) kann in einem Meltdown oder Shutdown resultieren. Beides bezeichnet automatische Reaktionen zum Selbstschutz, wenn aus der überfordernden Situation kein Entkommen ist.
Ein Meltdown (deutsch: Kernschmelze) äußert sich in einem Zusammenbruch, der einem Wutanfall ähneln kann. Doch das vorherrschende Gefühl Betroffener in dieser Krise ist Panik.
Ein Shutdown (deutsch: Abschalten) bezeichnet den Rückzug: Menschen mit ASS ziehen sich zurück, bedecken ihren Kopf, wiegen sich hin und her und sind nicht ansprechbar. Oft folgt ein Shutdown auf einen Meltdown, er kann jedoch auch davon unabhängig als Reaktion auf eine Reizüberflutung auftreten.
Wie man sich leicht ausmalen kann, sind sowohl Meltdown als auch Shutdown für Betroffene unangenehm und kräftezehrend. Umso wichtiger ist es, dass ihnen jederzeit eine Rückzugsmöglichkeit offensteht, damit sie erst gar nicht in diese ausweglose Situation kommen.
Achtung: Viele Autisten haben ihre eigene Strategie, um Reizüberflutung entgegenzuwirken. Das geschieht durch eine sich wiederholende gleichbleibende Handlung, beispielsweise das Kneten von Stoff, das Drehen von Gegenständen auf dem Tisch, das Tragen und somit Spüren eines bestimmten Accessoires oder das Hin- und Herlaufen durch den Raum.
Dieses Verhalten nennt sich Stimming und dient dem Stressabbau. Stimming ist für Autisten ein unverzichtbares Hilfsmittel, um mit bestimmten Situationen umgehen zu können. Wenn Sie also bei einem Kind mit ASS Stimming beobachten oder Ihnen sein Stimming schon bekannt ist, kritisieren Sie es nicht und verbieten Sie es auf gar keinen Fall!
Reizüberflutung bei Hochsensibilität
Bis zu 20 % der Menschen gelten als hochsensibel – und das ist gar nicht mal so wenig. Wer hochsensibel ist, nimmt alle Reize intensiver wahr, als es sich der Durchschnittsmensch vorstellen kann. Logischerweise sind Hochsensible dadurch prädestiniert für Situationen, in denen ihnen alles zu viel ist.
Es gibt verschiedene Abstufungen von Hochsensibilität. Während die eine „nur“ keine kratzenden Wollpullis erträgt, nimmt der andere auch 20 Meter entfernt stattfindende Gespräche wahr und findet die Kaugeräusche seiner Mitmenschen so eklig, dass er am liebsten alleine ist. Dadurch werden auch alltägliche und für neurotypische Menschen normale, entspannte Situationen zu einer Herausforderung und potenziellen Reizüberflutung.
Wenn Sie mehr über Hochsensibilität erfahren möchten, lesen Sie gern unseren Beitrag Zartbesaitet: Hochsensibilität erkennen und verstehen.
Reizüberflutung bei Synästhesie
Schätzungen zufolge sind 4 % der Menschen Synästheten. Sie empfinden Reize gleichzeitig auf mehreren Kanälen, riechen z. B. Farben, schmecken Wörter oder erleben Gefühle als farbig. Synästheten haben zwar wie Hochsensible die Fähigkeit, Reize zu filtern, nehmen sie aber stellenweise doppelt wahr – und auch das kann ziemlich anstrengend sein. Daher brauchen Synästheten oft länger für die Verarbeitung, weil sie oft von ihren Wahrnehmungen überwältigt werden.
Mehr Informationen über Synästhesie finden Sie in unserem Beitrag Dunkle Stimme, scharfer Geruch und farbige Wochentage – die vielen Gesichter der Synästhesie.
Schallschutz Landhaus
Kuschelhöhle
Akustiksofa Wolke
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