Demokratie leben – Jetzt!
Mit Fakten und hilfreichen Materialien vermitteln Sie unsere Staatsform
Ein Gastbeitrag von apl. Prof. Dr. Klaus-Peter Hufer und Hans-Jürgen van der Gieth
Wer heute in Deutschland nach dem Jahr 1949 geboren ist – und das sind die meisten – hat sein ganzes bisheriges Leben in einer Demokratie verbracht. Angesichts des erstarkenden Populismus und des Zulaufs rechter Parteien stellt sich die Frage, wie lange später Geborene noch das Privileg Demokratie erfahren dürfen.
© ADOBE Stock
Was eine Demokratie ist, warum sie ganz schön kompliziert sein kann und darum besonders geschützt werden muss und wie Sie Ihren Schülerinnen und Schülern dies alles verständlich näherbringen, lesen Sie in diesem Gastbeitrag.
Inhalt
1. Demokratien unter Druck – und in Gefahr!
2. Die bittere Realität: Demokratien sind kompliziert und können scheitern!
3. Der zuversichtliche Blick nach vorn: Wir können etwas dagegen tun!
3.1 Demokratiebildung von Anfang an
3.2 Demokratiebildung als Aufgabe aller Fächer
3.3 Demokratiebildung verständlich gemacht
Die bittere Realität: Demokratien sind kompliziert und können scheitern!
Das Leben in einer Demokratie ist dynamisch und kompliziert. Die Wege, die zu einer verbindlichen Entscheidung führen, sind lang. Dabei muss man immer Abstriche von der Vorstellung machen, dass das eigene Interesse ultimativen Vorrang hat. Das hat es nicht, denn es gibt in einer Demokratie immer auch die anderen.
Demokratie ist eine „Zumutung“, wie die Rechtswissenschaftlerin Sophie Schönberger schreibt (vgl. 2023, 55). Sie fordert die „Bereitschaft, „den anderen auszuhalten“ (ebd.). Und – seien wir mal ehrlich – manche Mitmenschen sind wahrhaftig nur schwer auszuhalten.
Das mag ein Grund dafür sein, dass sich die Zufriedenheit der Deutschen mit ihrer Demokratie in Grenzen hält. Schnell laufen die Prozesse eben nicht, immer müssen Kompromisse mit anderen gefunden werden. Hinzu kommt, dass jede nationale Politik in der globalisierten Welt an ihre Grenzen stößt. Es gibt internationale und zwischenstaatliche Regelungen, fremdbestimmte Einflüsse aus der Ferne, die in anderen, oft weit entfernten Ländern Probleme verursachen und dann national geregelt werden müssen. Deswegen müssen wir uns bewusst sein, dass es keine Garantie für eine fortwährende Existenz der Demokratie gibt.
„Populismus ist einfach, Demokratie ist komplex.“ (Dahrendorf 2003)
In einer Demokratie zu leben und diese aufrechtzuerhalten, ist also nicht so einfach, wie es sich zunächst vermuten lässt. Es ist vielmehr ein ständiger Lernprozess, der immer wieder neu beginnt. Simple Lösungen bieten autoritäre Parteien, Populisten und Extremisten an. Das ist für nicht wenige Menschen verführerisch. Doch diese einfach erscheinenden Angebote des Populismus führen geradlinig in autoritäre Regime. Um das zu verhindern, sind Demokratinnen und Demokraten vor die Aufgabe gestellt, „mit Komplexität leben zu lernen“ (ebd.). Denn mit Populismus werden Probleme nicht gelöst, sondern nur weggeredet. Und vor allem werden sie größer. Die Demokratie ist zwar äußerst kompliziert, aber es gibt keine humane, lebenswerte Alternative dazu.
„Die Demokratie ist nicht nur die komplizierteste, sie ist auch die gefährdetste aller Regierungsmethoden.“ (Fraenkel, zit. nach Massing, Breit, Buchstein 2012, 11)
Man sollte sich dazu auch die Warnung der preisgekrönten US-amerikanischen Historikerin Anne Applebaum vor Augen führen: „Unter den passenden Bedingungen kann sich jede Gesellschaft von der Demokratie abwenden“ (Applebaum 2021, 21).
Die positive Sicht: Wir können etwas dagegen tun!
Eines vorweg: Demokratisches Engagement lohnt sich, immer! Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität sind die zentralen Werte einer Demokratie. Gerechte Gesellschaften bieten allen, die in ihnen leben, gute Lebensumstände. Die Menschen sind gesünder, glücklicher und reicher, das Vertrauen zueinander und zu den staatlichen Institutionen ist größer als in autoritären Regimen. Das haben amerikanische Forscher in detaillierten Studien bewiesen (vgl. Wilkinson / Pickett 2009).
Eine Bestätigung dieser Erkenntnis liefert die Forschungsarbeit von Daron Acemoglu, Simon Johnson und James A. Robinson. Sie stellten fest, dass Demokratien gut für Wachstum und Wohlstand sind, Autokratien schaden dagegen, sind wirtschaftlich schlecht. Auch mit diesem gesicherten Wissen im Rücken gilt es, Demokratien zu schützen. Und der beste Schutz besteht darin, Demokratie zu leben und zu verteidigen, unsere Widerstandsfähigkeit zu erhöhen, Solidarität und Mitgestaltungsbereitschaft zu fördern, und damit schon bei unseren Kindern anzufangen. Hier steht die Pädagogik in der Pflicht, so wie es der Philosoph Theodor W. Adorno klar beschrieben hat:
„Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung“ (Adorno 1970, 88).
Demokratiebildung von Anfang an!
Bereits die Kindergärten, vor allem aber die Schulen, haben die Aufgabe, demokratisches Bewusstsein zu schaffen. Kinder müssen die Befähigung zu einem demokratischen Verhalten sowie zu einem verantwortungsbewussten und selbstbestimmten Leben erlernen. Insofern ist es wichtig, dass die Kinder ihre Lebenswelt gestalten und mitbestimmen können, in ihrer Eigenverantwortlichkeit gestärkt werden, Verantwortung für die Gemeinschaft übernehmen. Sie lernen Konflikte zu lösen und erleben durch ihre Möglichkeiten der Mitbestimmung und Mitgestaltung, dass ihre Meinung und ihr Tun wertvoll sind. Sie fühlen sich ernst genommen. So lernen sie demokratische Prozesse kennen und können sich so zu dem entwickeln, was als Ziel demokratischer Bildung und Erziehung gewünscht wird: zu mündigen Bürgern.
Diese Aufgabe von Schule ist in diesen krisengeschüttelten Zeiten besonders wichtig. Denn populistische und extremistische Positionen fordern unsere Demokratie heraus. Skepsis gegenüber den demokratischen Parteien und ihren Protagonisten – häufig als Politik- oder Politikerverdrossenheit bezeichnet – hat sich breit gemacht. Es scheint, dass die Demokratie an Vertrauen verloren hätte. Und das verlorene Vertrauen stellt eine ernstzunehmende Gefahr für unsere Gesellschaft dar. Nicht zuletzt ist in diesem Zusammenhang die Forderung „Nie wieder!“ zu einer Art Leitspruch für den Einsatz gegen Faschismus, Nationalismus und Rassismus geworden, mit der gleichzeitigen Aufforderung, sich für die zentralen Werte eines demokratischen Staates einzusetzen. Für die Schule bedeutet das, dass einer demokratischen Erziehung ein besonders hoher Stellenwert eingeräumt werden muss.
Kostenloses Unterrichtsmaterial
Jetzt hätten Sie gern eine praktische Hilfe, mit der Sie Ihren Schülerinnen und Schülern altersgerecht und nachvollziehbar vermitteln, was Demokratie ist, was es mit unseren Grundrechten, unserer Freiheit und einer Wahl auf sich hat? Klicken Sie auf den Button und laden Sie das »Kostenlose Unterrichtsmaterial für die 3. – 6. Klasse« einfach herunter.
Demokratiebildung als Aufgabe aller Fächer
Die Beschäftigung mit politisch dominierten Themen ist zum grundsätzlichen Unterrichtsprinzip zu erheben, das in allen Fächern angesiedelt werden muss. Es reicht nicht aus, dass die Schülerinnen und Schüler „nur“ mit dem konfrontiert werden, was allgemein als Institutionenkunde bezeichnet wird. Vielmehr muss Demokratie als eine Lebensform erfahren werden. Um Demokratie erlernbar und erfahrbar zu machen, bedarf es vielfältiger pädagogischer Bemühungen. Sie reichen vom „traditionellen“ Unterricht bis zur Verwirklichung demokratischen Lebens im Schulalltag.
Tipp: Implementieren Sie verstärkt demokratische Handlungsprozesse im Schulalltag, erleben Sie diese mit den Kindern bewusst und sprechen Sie in der Klasse darüber. Beispiele und Möglichkeiten gibt es viele: Klassensprecherwahlen, Klassendienste, Streitschlichter-Programme, Unterstützungsangebote für Kinder mit Migrationshintergrund oder die Schülermitverwaltung. Auch Beteiligungen an politischen Prozessen in der Heimatgemeinde können in den Fokus gerückt werden.
Demokratiebildung verständlich gemacht
Den Rahmen für gelingendes Demokratielernen bildet das Grundgesetz mit den dort enthaltenen Grund- und Menschenrechten – in erster Linie die Bestimmung über die „Würde des Menschen“ (Art. 1), aber auch das Recht auf „freie Entfaltung der Persönlichkeit“ (Art. 2), das „Gleichheitsgebot“ (Art. 3), die „Glaubensfreiheit“ (Art. 4) oder die „Meinungsfreiheit“ (Art. 5).
In den Landesverfassungen werden diese grundgesetzlichen Bestimmungen in der Regel noch einmal bestätigt.
Die Bundesländer setzen in den Richtlinien und Lehrplänen bestimmte inhaltliche Schwerpunkte und geben damit den Rahmen vor. Zu den wichtigsten Inhalten des Demokratielernens, das darauf ausgerichtet ist, die Schülerinnen und Schüler zu aufgeklärten, mündigen Bürgern zu „erziehen“, gehören die folgenden Inhalte:
- Menschenrechte
- Meinungsfreiheit
- Partizipation
- Freiheit
- Gleichheitsgebot
- freie Wahlen
- Solidarität
- Pluralität
- Zugehörigkeit
- Gewaltenteilung
- Minderheitenschutz
- Vielfalt
Gerade mit Blick auf die Grundschule und Unterstufe kommt die Schwierigkeit auf, wie diese doch teils schwierigen Begriffe und Konzepte verständlich im Unterricht aufgehen sollen:
- Wie bringt man Achtjährigen das Konzept freier Wahlen bei?
- Was lehrt man Viertklässlern zum Thema Grundrechte und Freiheiten in der Bundesrepublik Deutschland? Die Schlagworte hierfür lauten: vom Kleinen zum Großen vorarbeiten und ausgehend der Lebenswelt der Kinder starten.
- Wo begegnet uns Demokratie tagtäglich im Kleinen?
- Wo werden die Kinder schon mit demokratischen Handlungsprozessen konfrontiert?
Schnell ergeben sich bereits beim Thema Mitbestimmung und Wahlen viele Anknüpfungspunkte: Entscheidungsfindung in der Familie, Mitbestimmung bei Klassenausflügen, Klassensprecherwahl, Mitbestimmung bei städtischen Angelegenheiten wie bspw. dem Bau eines neuen Spielplatzes. Ähnliches gilt für den großen Themenkomplex Grundrechte und Freiheiten:
- Welche Rechte und Pflichten habe ich in meiner Familie?
- Was steht in unserem Klassen-Regelheft?
- Wie diskutieren und streiten wir in der Klasse? Wie handeln wir, wenn jemand in der Schule benachteiligt wird?
Entdecken Sie in unserem Onlineshop die Demokratieprojekte für Kinder.
Dabei lohnt es sich, Wahlen in der Klasse zu simulieren oder Formen der Benachteiligung innerhalb eines Rollenspiels unmittelbar erfahrbar zu machen – inklusive der anschließenden Reflexion des Spiels im Klassenverband und mit „soften“ Beispielen. Etwa: Nur Kinder mit einem Vokal als Anfangsbuchstaben dürfen mitwählen. Anschließend kann dann über das Empfinden der von der Wahl ausgeschlossenen Kinder und über die Folgen der Nichtberücksichtigung gesprochen werden. So wird Schritt für Schritt der Weg zu Demokratie im Großen geebnet.
Eine Sondermöglichkeit, Demokratie auch für die Kleinen im Unterricht greifbar zu machen, sind überdies auch Geschichten. Altersgerechte Geschichten zum Thema – beispielsweise junge Kicker, die beim Bolzplatzkick über die Einteilung der Mannschaften streiten oder eine Freundesgruppe, die sich mutig gegen die Verschmutzung des heimischen Stadtparks engagiert – eignen sich in besonderer Weise für die Verknüpfung von Leseförderung und Demokratiebildung.
Das Lesetandem rund um das Thema Demokratie finden Sie in unserem Onlineshop.
Lesen Sie im nächsten Gastbeitrag zum Thema Demokratie alles über konkrete didaktische Aspekte des Demokratielernens.
Teile dieses Beitrags stammen aus der Infobroschüre für Lehrkräfte »Demokratie leben – Jetzt: Gedanken und Tipps zur Demokratieerziehung in der Schule«. (BVK Buch Verlag Kempen 2025)
Auch interessant:
Miteinander lernen: So geht Demokratiebildung in der Grundschule
Klassensprecher: Darum ist die Demokratiebildung schon in der Grundschule 1. Wahl
Her mit der Bildungswende – darum ist politische Bildung schon in der Primarstufe wichtig
Rechtsextreme Einstellungen nehmen zu – Demokratiebildung ist eine gute Idee
Demokratiebildung in der Kita. So fühlen sich Kinder einbezogen und bestimmen mit
Partizipation in Kindergarten und Kita: Methoden zur Umsetzung des Kinderrechts auf Beteiligung
Literaturverzeichnis:
Adorno, Theodor W.: Erziehung zur Mündigkeit, Frankfurt am Main 1970.
Applebaum Anne: Die Verlockung des Autoritären. Warum autoritäre Herrschaft so populär geworden ist, 2. Aufl., München 2021.
Dahrendorf, Ralf: Acht Anmerkungen zur Demokratie, in: Transit H. 25. 2003 (25), hier:
https://www.freiheit.org/de/deutschland/dahrendorf-acht-anmerkungen-zum-populismus
Economist Intelligence: Democracy Index 2023, London u. a, 2024.
Przeworski, Adam: Krisen der Demokratie, Berlin 2020.
Schönberger, Sophie: Zumutung Demokratie. Ein Essay, München 2023.
Wilkinson, Richard / Pickett, Kate: Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind, Berlin 2009.
© Copyright – Urheberrechtshinweis
Alle Inhalte auf www.backwinkel.de sowie www.backwinkel.de/blog, insbesondere Texte, Fotografien und Grafiken, sind urheberrechtlich geschützt.
Das Urheberrecht liegt, soweit nicht ausdrücklich anders gekennzeichnet, bei der BACKWINKEL GmbH. Bitte fragen Sie uns, falls Sie die Inhalte dieses Internetangebotes verwenden möchten.
Wer gegen das Urheberrecht verstößt (z. B. Bilder oder Texte unerlaubt kopiert), macht sich gem. §§ 106 ff UrhG strafbar, wird zudem kostenpflichtig abgemahnt und muss Schadensersatz leisten (§ 97 UrhG).
Gibts auch ein Gesicht hinter dem BACKWINKEL-Blog? Natürlich. Sogar fünf 😊. Wir – Lukas, Marvin und Tatjana – bespielen unseren Blog im LACHEN LEBEN LERNEN-Firmensitz in Hattingen.
Lukas kennt Onlinemarketing wie seine Westentasche, während Marvin unseren Beiträgen den passenden gestalterischen Rahmen gibt und Tatjana mit dem grünen Korrekturstift alles prüfend beäugt, was unsere Freelancerautorinnen Elisa und Christine (und gern auch Gastautoren) aus der Ferne für den BACKWINKEL-Blog nach ordentlicher Recherche schreiben.
Gemeinsam suchen wir ständig nach neuen, aufregenden Themen rund um das Thema Bildung im Kiga, der Schule und zu Hause. Und weil Sie da an der Quelle sitzen, freuen wir uns auf Ihre konstruktiven Rückmeldungen und Anregungen an blog[@]backwinkel.de
Viel Spaß beim LACHEN LESEN LERNEN!