Partizipation in Kindergarten und Kita: Methoden zur Umsetzung des Kinderrechts auf Beteiligung
Christine Hagemann
Partizipation stärkt soziale Kompetenzen. Wie Sie das pädagogische Konzept der Partizipation in Kindergarten und Kita sinnvoll umsetzen, lesen Sie im Folgenden.
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Die eigene Meinung vertreten, Kompromisse aushandeln und gemeinsam entscheiden – das will gelernt sein. Kinder, die aktiv mitbestimmen dürfen, erleben sich selbstwirksam und lernen, dass ihre Entscheidungen Konsequenzen haben. Allerdings nur dann, wenn Sie als Erzieher so mutig sind, das zuzulassen. Welche Schwierigkeiten in der Praxis auftauchen können und wie Partizipation in der Kita gelingt, erfahren Sie hier.
Inhalt
1. Was bedeutet Partizipation?
1.1 Partizipation ist Kinderrecht
1.2 Fünf Prinzipien für die Partizipation von Kindern
2. Partizipation in der Praxis?
2.1 Methoden der Umsetzung
2.2 Das muss beachtet werden
3. So gelingt Partizipation in Kindergarten und Kita
3.1 Partizipation ist Beziehungssache
3.2 Partizipation ist Konzeptsache
3.3 Partizipation ist Teamsache
„Kinder haben das Recht, an allen sie betreffenden Entscheidungen entsprechend ihrem Entwicklungsstand beteiligt zu werden. Es ist zugleich ein Recht, sich nicht zu beteiligen. Dieser Freiwilligkeit seitens der Kinder, ihr Recht auszuüben, steht die Verpflichtung der Erwachsenen gegenüber, Kinder zu beteiligen, ihr Interesse für Beteiligung zu wecken.“
Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention
Dazu gehört ein partnerschaftlicher Erziehungsstil: Erwachsene geben nicht einfach vor und diktieren, sondern die Wünsche aller werden gehört und ernst genommen. Im demokratischen Prozess der Partizipation lernen Kinder, dass es sich lohnt
- für die eigene Meinung einzutreten.
- Gesprächsregeln einzuhalten.
- gemeinsam nach Lösungen zu suchen.
Partizipation von Kindern bedeutet freiwillige Machtabgabe und gleichzeitig pädagogische Verantwortlichkeit der Erwachsenen. Sie stellen Entwicklungsräume zur Verfügung, in denen gemeinsam für die Entwicklung kinderfreundlicher Lebenswelten und eigenständiger, gemeinschaftsfähiger Persönlichkeiten gestritten wird.
Fünf Prinzipien für die Partizipation von Kindern
- Partizipation bedeutet, Kinder zu begleiten. Es genügt nicht, Kindern Entscheidungsfreiheit einzuräumen und sie dann damit allein zu lassen. Oft fehlen ihnen Informationen oder alternative Erfahrungen, die eine wirkliche Entscheidung erst ermöglichen. In die Aushandlungsprozesse fließen immer auch Erfahrungen und Interessen von Erwachsenen ein.
- Partizipation braucht gleichberechtigten Umgang, keine Dominanz der Erwachsenen. Das bedeutet, Kinder uneingeschränkt anzuerkennen als Experten für ihre Lebensräume, ihre Empfindungen sowie ihre Weltsicht. Die Verantwortung für den Prozess liegt allerdings ausschließlich bei den Erwachsenen. Sie müssen die Kinder dabei unterstützen, eine Gesprächs- und Streitkultur zu entwickeln.
- Partizipation muss Folgen haben. Die Erwachsenen müssen sich darüber klar werden, welche Entscheidungsspielräume die Kinder tatsächlich haben und diese offenlegen. Eine Entscheidung muss zeitnah in die Tat umgesetzt werden. Natürlich kann die Umsetzung eines gemeinsamen Beschlusses scheitern. Auch dafür sollten die Gründe transparent werden.
- Partizipation ist zielgruppenorientiert. Kinder sind nicht alle gleich. Kinder aus Elementar- und Hortgruppen, Jungen oder Mädchen, Kinder unterschiedlicher ethnischer Herkunft, Kinder mit und ohne Handicaps bringen unterschiedliche Wünsche und Bedürfnisse mit. Die Inhalte und Methoden müssen darauf abgestimmt werden.
- Partizipation ist lebensweltorientiert. Das betrifft die Inhalte sowie die Beteiligungsmethoden. Die Thematik muss die Kinder etwas angehen. Das gilt auch für Inhalte, die Kinder nur mittelbar betreffen, wie etwa ökologische Themen. Abstrakte Inhalte müssen an Erfahrungen der Kinder angeknüpft werden.
Partizipation in der Praxis?
Partizipation im Kindergarten ist in den Bildungsplänen der Bundesländer als methodische Form der Erziehung vertreten. Evaluationen haben gezeigt, dass diese Methode sinnvoll und realisierbar ist.
Methoden der Umsetzung
Partizipation im Kindergarten realisieren Sie auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Dazu können Sie im Kindergartenalltag zahlreiche konkrete Beteiligungsstrukturen aufbauen:
- Am einfachsten starten Sie mit einem gemeinsamen Projekt, wie zum Beispiel dem Planen des Sommerfestes, der Umgestaltung eines Gruppenraumes oder der Auswahl von neuem Kindergarten-Spielzeug. Die Ideen und Wünsche der Kinder werden dabei gehört und berücksichtigt.
- Bestehende Rituale wie der Erzähl- und Morgenkreis sind ideal geeignet, damit die Kinder ihre Anliegen vorbringen. Ein klassisches Modell der Partizipation im Kindergarten ist das Kinderparlament, das regelmäßig tagt und die Gruppe über aktuelle Themen informiert.
Beispiel: Es sollen neue Spielplatzgeräte für den Außenbereich angeschafft werden. Die Kinder werden gefragt, welche Spielsachen sie mögen und was sie sich zum Spielen wünschen. Vorschläge werden gesammelt und es wird gemeinsam abgestimmt.
- Eine weitere Form der Partizipation im Kindergarten ist die repräsentative Beteiligung, bei der ein Kinderrat gewählt wird. Diese meist älteren Kinder dürfen auch an den pädagogischen Teamsitzungen teilnehmen. Mittlerweile gibt es diese Form der Mitbestimmung in vielen Kitas.
Das muss beachtet werden
Es kommt darauf an, dass Sie verlässliche, altersgemäße Beteiligungsformen entwickeln. Die Kinder dürfen dabei durchaus gefordert, aber nicht überfordert werden. Partizipation fängt damit an, dass die Kinder über alle Vorgänge, die sie betreffen, informiert werden.
Beispiel: Um den Kindern die Speisepläne der kommenden Woche zugänglich zu machen, können Sie wiederkehrende Gerichte fotografieren und die Bilder neben die schriftlichen Pläne hängen.
Natürlich gibt es viele Bereiche, bei denen die Kinder mitzureden haben, wenn es um ihre Interessen geht. Das gilt für Entscheidungen über Spielangebote, Essensangebote oder Raumgestaltung in der Kita. Bei manchen Themen gibt es jedoch Grenzen der Partizipation, etwa bei Schutzmaßnahmen für Gesundheit und Sicherheit. Trotzdem sollten Sie notwendige Entscheidungen begründen, um die Kinder mit vernünftigen Argumenten zu überzeugen.
Wenn neue Strukturen eingeführt werden, können auch Probleme auftreten. Manches Kind will anfangs vielleicht nicht akzeptieren, dass der eigene Wille nicht umgesetzt wird. Oder Eltern beschweren sich, dass ihre Kinder auf einmal auch zu Hause mitbestimmen wollen. Partizipation muss von allen Beteiligten gemeinsam eingeübt werden.
So gelingt Partizipation in Kindergarten und Kita
Die Beteiligung der Kinder beginnt in den Köpfen der Erwachsenen. Ein Kind, das aktiv ist und sein darf, bildet sich immer, lernt aus eigenem Antrieb und will die Welt gestalten. Partizipation bedeutet in erster Linie: Kinder als Experten ihres eigenen Lebens ernst zu nehmen.
Partizipation ist Beziehungssache
Partizipation erfordert eine gleichberechtigte Kommunikation zwischen Erwachsenen und Kindern. Voraussetzung dafür ist eine „dialogische Haltung“ der Erwachsenen.
Fragen Sie sich selbst:
- Bin ich interessiert und neugierig auf das, was die Kinder beizutragen haben? Begegne ich den Kindern eher fragend als wissend? Nehme ich ihre Beiträge ernst?
- Höre ich den Kindern aufmerksam zu? Suche ich Blickkontakt? Lasse ich die Kinder ausreden, auch wenn sie nicht gleich zum Punkt kommen?
- Lasse ich mich auf die Kinder ein? Kann ich mich in sie hineinversetzen? Gebe ich den Gefühlen und Gedanken der Kinder eine Sprache? Begegne ich ihnen wertschätzend?
- Habe ich die Geduld, mich mit Bewertungen zurückzuhalten? Bin ich bereit, mein Wissen ohne Besserwisserei zur Verfügung zu stellen? Kann ich eigene Ungewissheiten eingestehen?
Partizipation ist Konzeptsache
Welche Möglichkeiten haben Kinder, darüber zu entscheiden, womit sie sich im Verlauf eines Tages in der Kita beschäftigen wollen? Ob die Strukturen Ihrer Einrichtung partizipationsfreundlich sind, hängt stark von dem pädagogischen Konzept ab. Beste Chancen bietet die Idee des offenen Kindergartens, wie sie beispielsweise in der Reggio-Pädagogik verwirklicht wird.
Das Konzept der Reggio-Pädagogik plädiert für offene Angebote der Materialien. Verschiedene Aktionsbereiche stehen frei zur Verfügung. Die Kinder entscheiden selbst, womit sie sich beschäftigen, wo und mit wem sie gerade spielen möchten. Die Kita wird so zur offenen Lernwerkstatt.
Überprüfen Sie Ihre Einrichtung:
- Können die Kinder frei wählen, womit sie sich beschäftigen möchten? Sind die Spiel- und Gebrauchsmaterialien für die Kinder frei zugänglich?
- Können die Kinder Aktions- und Funktionsräume auch ohne Begleitung Erwachsener nutzen?
- Dürfen die Kinder dann etwas essen, wenn sie Hunger haben?
- Können die Kinder mitentscheiden, zu welcher Gruppe sie gehören? Werden Regeln gemeinsam aufgestellt?
Partizipation ist Teamsache
Eigeninitiative ist gut, gemeinsam an einem Strang ziehen ist besser. Kinderparlament, Kinderrat oder Kinderkonferenz – alle fest installierten Beteiligungsformen setzen eine gemeinsame Positionierung im Erzieher-Team voraus. Die Partizipation von Kindern muss im Konzept und im Bewusstsein der Erzieher verankert sein. Wenn allen Beteiligten klar ist, dass die Kindergremien selbstverständlich im Alltag stattfinden und Entscheidungsrechte haben, wird die Alltagsdemokratie für alle verbindlich.
Über diese Fragen sollten Sie sich zunächst im Mitarbeiter-Team einigen:
- Worüber sollen die Kinder auf jeden Fall mitentscheiden?
- Worüber sollen die Kinder auf keinen Fall mitentscheiden?
- Mit welcher Form der Beteiligung können wir uns anfreunden?
- Welche Entscheidungs-Gültigkeit sind wir bereit zu akzeptieren?
Was Sie von den Kindern lernen können
Die wertschätzende und partnerschaftliche Arbeit pädagogischer Fachkräfte in den Kitas hat einen entscheidend prägenden Einfluss auf die Kinder. In Sachen gelebte Demokratie sind Sie als Erzieher Vorbild, Lehrende und Lernende zugleich. Vielleicht fällt es Ihnen nicht immer leicht, die manchmal unkonventionellen Entscheidungen der Kinder mitzutragen. Aber es lohnt sich allemal.
Kinder sind unbekümmerter als Erwachsene, sie gehen neugierig an die Welt heran und hinterfragen alles. Lassen Sie sich von dieser natürlichen Haltung der Offenheit und der Neugier anstecken. Die Stärke der Kinder liegt in ihrer kreativen Fantasie, ihren Ideen und Visionen. Gerade Kinder erweisen sich oft als kompetente Planungspartner, die mit ihren Fähigkeiten überraschen.
Haben die Kinder Gelegenheiten, ihr Lebensumfeld intensiv mitzugestalten, steigt nicht nur ihre Verantwortungsbereitschaft. Wenn sie bewusst erleben, dass sie „was zu sagen haben“, wachsen die Lust und das Vertrauen in die eigenen Potenziale, sich aktiv mit der Welt auseinanderzusetzen.
Buchtipps:
Marita Dobrick: Demokratie in Kinderschuhen. Partizipation & KiTas. Göttingen (Vandenhoek & Ruprecht) 2011.
Götz Doyé, Christine Lipp-Peetz: Wer ist denn hier der Bestimmer? Das Demokratiebuch für die Kita. Weinheim (Beltz) 2000.
Michael Regner, Franziska Schubert-Suffrian: Partizipation in der Kita. Freiburg i. Br. (Herder) 2018.
Heidi Vorholz: 55 Fragen & 55 Antworten. Partizipation in der Kita. Berlin (Cornelsen) 2015.
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