Über den Tod sprechen: So behandeln Sie das Thema Tod und Trauer im Grundschulunterricht
Christine Hagemann
Kinder kennen Gefühle von Trauer und Abschiednehmen. Und sie denken über den Tod nach. Im Unterricht erhalten sie Raum, um darüber zu sprechen.
© Jean Kobben, Adobestock.com
Zum Verstehen der Welt gehört auch die Auseinandersetzung mit dem Tod. Kinder erfahren die Todeswirklichkeit in vielerlei Hinsicht, indirekt in den Medien oder direkt im persönlichen Umfeld. Doch Erwachsene machen allzu oft ein Geheimnis daraus. Wenn es um Tod und Trauern geht, werden Kinder häufig ausgegrenzt. Dabei kann das Schweigen erst recht zu diffusen Ängsten führen.
Das Ich-Bewusstsein ist bei Grundschulkindern schon sehr ausgeprägt. Sie machen sich Gedanken, auch über den eigenen Tod. Bei dieser Grenzerfahrung brauchen sie Orientierungshilfe. Daher ist es für Kinder besonders wichtig, klare Auskünfte zu bekommen. Lesen Sie im Folgenden, wie Sie den Tod sinnvoll im Unterricht thematisieren und offen mit Ihren Kindern darüber sprechen.
Inhalt
1. Welchen Sinn haben Gespräche über den Tod?
1.1 Erwachsene müssen Kinderfragen ernst nehmen
1.2 Auf manche Fragen gibt es keine Antwort
2. In welchem Fach ist das Thema Tod sinnvoll?
2.1 Das Thema Tod und Trauer im Religionsunterricht
2.2 Der fächerübergreifende Ansatz
3. Was Sie zum Thema Trauer wissen sollten
3.1 Erklärungsmodelle für den Trauerverlauf
3.2 Trauern Kinder anders?
3.3 Wie Sie mit Kindern über den Tod sprechen
In welchem Fach ist das Thema Tod sinnvoll?
Der Grundschulunterricht soll Kindern beim Erschließen der Lebenswelt helfen. Hierbei ist zu beachten, dass die Kinder nicht ohne Vorwissen in die Schule kommen. In ihre Vorstellungen vom Tod fließen immer auch Aspekte ein, die gesellschaftlich, kulturell und soziologisch geprägt sind. Diese müssen nicht unbedingt religiös ausgerichtet sein.
Ein grundlegendes Verständnis von Leben und Welt ist ohne die Erfahrung von Tod und Trauer nicht zu denken. Dies betrifft die gesamte kindliche Persönlichkeitsentwicklung. Daher sollte die Thematik beispielsweise auch im Sachunterricht nicht ausgeklammert werden.
Das Thema Tod und Trauer im Religionsunterricht
In den Bildungsplänen für die Grundschule ist die Thematik Tod und Trauer üblicherweise im Fach Religion angesiedelt. Die persönlichen Erfahrungen der Kinder bilden den Ausgangspunkt für Unterrichtsgespräche. Im Rahmen des konfessionellen Religionsunterrichts soll der Gedankenaustausch dazu überleiten, dass die Kinder hilfreiche Trauerriten und Hoffnungsbilder der Glaubensgemeinschaft kennenlernen.
Für den christlichen Religionsunterricht gelten beispielsweise diese Kompetenzerwartungen:
- Die Kinder erzählen von eigenen Erfahrungen mit dem Tod.
- Wir geben den Gefühlen Raum und drücken sie aus: Trauerriten der Gemeinschaft.
- Erfahrungen mit Leid und Trauer, Trost und Hoffnung: Psalmworte der Klage und Hoffnung.
- Trauer, Klage, schmerzhafte Empfindungen zur Sprache bringen und Erfahrungen der Bewältigung austauschen.
- Erfahrungen mit dem Tod zur Sprache bringen und mit biblischen Hoffnungserwartungen verknüpfen.
Der fächerübergreifende Ansatz
An vielen Grundschulen ist das Philosophieren mit Kindern als fächerübergreifendes Prinzip in den Unterricht integriert. Dies ermöglicht, gemeinsame Nachdenkgespräche in kulturell heterogenen Lerngruppen jederzeit oder aus einem bestimmten Anlass heraus zu initiieren. Solche Gespräche über Fragen, auf die es keine eindeutigen Antworten gibt, sind grundsätzlich offen für verschiedene Sichtweisen und Deutungen.
Im Sachunterricht bieten sich spezifische Inhalte unter diesen vier Gesichtspunkten an:
- Philosophischer Aspekt: Auseinandersetzung mit dem Sinn und der Endlichkeit des Lebens, Erarbeitung von Lebenszielen.
- Soziologischer Aspekt: Tod als Tabuthema in der Gesellschaft, Umgang mit Ritualen in Bezug auf Tod und Trauer.
- Psychologischer Aspekt: Entwickeln eigener Einstellungen zum Tod, bewusster Umgang mit Trauer und Trauerprozessen.
- Medizinischer Aspekt: Informationen über körperliche Vorgänge, Organspende, medizinische Möglichkeiten und Grenzen.
Didaktisch empfiehlt sich die Form des Sokratischen Gesprächs. Hierbei sollte die Lehrperson eigene Redeanteile weitgehend zurücknehmen, um den Vorstellungen der Kinder genügend Raum zu geben. Der besondere Wert liegt darin, dass Sinn sich oft im Gedankenaustausch besser erschließt. Durch die gemeinsame Sinnsuche können die Kinder ihr eigenes Verstehen erweitern.
Tipp: Ein guter Aufhänger fürs Gespräch kann eine literarische Geschichte oder ein Bilderbuch sein. Im Buchangebot für 6- bis 10-Jährige finden sich geeignete Titel, die Kinder behutsam an den Umgang mit Tod und Trauer heranführen, indem sie ihre Vorstellungswelt ansprechen und verschiedene Perspektiven eröffnen.
Für Nachdenkgespräche über den Tod eignen sich folgende Methoden:
- Blitzlicht
- Lehrervortrag
- Situative Rollenbefragung: Was denkt die Person in dieser Situation?
- Wahrnehmen: Woran erkenne ich, dass etwas gestorben ist?
- Hinterfragen: Stirbt wirklich alles einmal?
- Kategorisieren: Was stirbt, was stirbt nicht?
- Gedankenexperiment: Wie würde die Welt aussehen, wenn es den Tod nicht gäbe?
- Selbstreflexion: Was würde sich für dich ändern? Würdest du etwas anders machen?
Was Sie zum Thema Trauer wissen sollten
Da Kinder ihre Gefühle nicht immer sprachlich äußern können, sind sie auf Informationen, die Hilfe und Aufmerksamkeit Erwachsener angewiesen. Wenn ihre nonverbalen Trauersignale nicht beachtet werden und sie somit den Tod nicht einordnen können, bleiben sie mit ihrer Trauer allein.
Die Thematisierung von Tod und Trauer stellt an die Lehrperson hohe Anforderungen, denn für die Kinder ist sie Bezugsperson und zugleich Vorbild. Deshalb sollten Sie sich mit eigenen Tabus und Gefühlen auseinandersetzen, aber auch mit möglichen Trauerreaktionen von Kindern auskennen. Dies gilt ganz besonders, wenn Ihre Kinder persönlich betroffen sind, wenn sie beispielsweise zeitnah den Tod eines Mitschülers verkraften müssen.
Erklärungsmodelle für den Trauerverlauf
Zum Thema Trauerbewältigung gibt es unzählige Ratgeberbücher, die sich auch mit Kindern und ihren Trauerreaktionen befassen. Fast immer ist dabei von Trauerphasen die Rede, verbunden mit dem Hinweis, dass Kinder anders trauern als Erwachsene. Diese Auffassung gilt jedoch nach neueren Erkenntnissen als überholt, teilweise sogar als falsch. Einige weitverbreitete Annahmen über das Thema Trauer gelten heute als widerlegt.
Im Trauerprozess durchlebt jeder Mensch ähnliche Emotionen, die Intensität kann jedoch individuell sehr unterschiedlich sein. Das klassische Modell der Trauerphasen beschreibt vier Stadien, die nacheinander durchlaufen werden. Das Modell kann den Verlauf nur allgemein beschreiben, denn die Ausprägung der einzelnen Phasen hängt stark von den persönlichen Bedingungen ab.
Diese Modelle orientieren sich am Phasenmodell der Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross:
Trauerphasen nach Yorick Spiegel 1973, in Bezug auf Gefühle: | Trauerphasen nach Verena Kast 1982, in Bezug auf Handeln: | |
1. Phase | Schock | nicht wahrhaben wollen |
2. Phase | Selbstkontrolle | aufbrechende Emotionen |
3. Phase | Regression | suchen, sich trennen |
4. Phase | Adaption | neuer Selbst- und Weltbezug |
Neuere Studien zeigen: Trauer ist kein kontinuierlicher Prozess. Die aufgeführten Phänomene gehören alle zur Trauer, doch sie ereignen sich nicht in Stadien, die schrittweise und nacheinander bewältigt werden müssten.
Ein Hauptkritikpunkt am Phasenmodell: Es entsteht der Eindruck, es gäbe ein „richtiges“ Trauern, und abweichende Reaktionen deuteten auf mangelhafte Verarbeitung hin. Dadurch geraten Trauernde, die nicht das erwartete Verhalten zeigen, in den Verdacht, psychische Probleme mit der Verlustbewältigung zu haben.
Oft trifft genau das Gegenteil zu. Freudige Erlebnisse, auch kurz nach einem Verlust, gehören zum Selbstheilungsprozess und weisen keineswegs auf Verleugnung hin. Und Loslassen bedeutet nicht das Ende der Beziehung. Viele erleben noch viel später intensive Momente der Nähe und Trauer. Es geht nicht um einen Abschluss, sondern darum, den Verlust ins eigene Leben zu integrieren.
Trauern Kinder anders?
Manche Empfindungen wie Wut oder regressive Verhaltensweisen mögen dem Trauenden selbst unverständlich sein. Doch im Trauerprozess ist es wichtig, alle aufkommenden Gefühle zu akzeptieren. Auch vertieftes Spielen oder spontanes Lachen sind notwendige Erholungsphasen und fördern die Trauerbewältigung.
Wichtig für Trauernde ist, dass sie sich nicht von konventionellen Erwartungen verunsichern lassen, sondern stärker ihrer Intuition folgen und auch heitere Gefühle zulassen. Kinder trauern eigentlich nicht anders als Erwachsene, sie reagieren nur weniger kontrolliert und oftmals viel natürlicher.
Bezugspersonen sollten trauernden Kindern die Selbstsicherheit vermitteln, dass es in ihrer Situation keine „falschen“ Empfindungen gibt. Alle Gefühle haben ihre Berechtigung. Auch extreme Gefühlsschwankungen sind völlig natürlich.
Wie Sie mit Kindern über den Tod sprechen
- Kinder sprechen unbefangen über den Tod, sie haben normalerweise keine Berührungsängste gegenüber dem Thema. Erst durch die Verklausulierungen und das Schweigen der Erwachsenen wird es zum Tabu. Vermeiden Sie daher Floskeln sowie einen bemüht harmlosen Kinderton.
- Offene Gespräche und einfühlsame Begleitung sind hilfreich, damit die Realität begreifbar wird. Entscheidend ist, dass Kinder die Möglichkeit bekommen, ihre Ängste und Sorgen vertrauensvoll auszusprechen. Deshalb sollten Sie in Gesprächen weder drängen noch bestimmte Erwartungen vorgeben.
- Kinder brauchen Informationen, um das Geschehen emotional kontrollieren zu können. Und sie haben ein feines Gespür für Dinge, die ihnen verschwiegen werden. Nehmen Sie alle Fragen ernst und antworten Sie ehrlich. Dabei müssen Sie nicht alles wissen und dürfen ruhig zugeben, dass Sie selbst Fragen haben.
- Für Kinder spielt es eine wesentliche Rolle, wie ihre Familie zum Gottglauben Wenn Sie das Thema Tod im Sachunterricht behandeln, sollten Sie Ihre eigenen Glaubensvorstellungen zurückhalten. Achten Sie die religiösen Traditionen der Familien.
- Viele Trauernde finden Trost in imaginären Zwiegesprächen oder an bestimmten Orten. Im Rahmen der Unterrichtseinheit können Sie einen Friedhofsbesuch einplanen. Auch persönliche Trauerrituale helfen, das Vermissen mit tröstenden Gedanken zu verbinden.
zum Weiterlesen:
Sven Jennessen: Manchmal muss man an den Tod denken. Wege der Enttabuisierung von Sterben, Tod und Trauer in der Grundschule. Baltmannsweiler: Schneider 2007.
Verena Kast: Trauern. Phasen und Chancen des psychischen Prozesses. Freiburg: Herder 2001.
Hans-Joachim Müller: Erzähl’ mir was vom Tod. Mit Kindern über ein Tabuthema philosophieren. In: Die Grundschulzeitschrift, 19/2005, 185 – 186, S. 62 – 64.
Heidi Müller, Hildegard Willmann (Hrsg.): Trauerforschung im Fokus. http://trauerforschung.de/
Denise Pesel: Die Thematisierung von Tod und Trauer. Möglichkeiten und Grenzen des Konzepts „death education“ im Kontext sachunterrichtlicher Bildung. In: widerstreit-sachunterricht.de, Ausgabe Nr. 7, Oktober 2006.
Yorick Spiegel: Der Prozeß des Trauerns. Analyse und Beratung. München: Kaiser 1990.
Stephanie Witt-Loers: Sterben, Tod und Trauer in der Schule. Eine Orientierungshilfe mit Kopiervorlagen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011.
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