Keep calm and stay cool: 5 starke Strategien zur Gewaltprävention in Grundschule, Kindergarten und Kita
Chrisitne Hagemann
„Drängel nicht so.“ – „Hey, was soll das? Hau ab da.“ – „Aua, mein Fuß!“
In der Eingangshalle geht’s hoch her. Alle Kinder halten sich an den Händen, das ganze Knäuel schiebt, zieht und ruft durcheinander. Nein, hier tobt nicht das normale Pausengetümmel, die Schüler der dritten Klasse sind mitten in einer Übung zur Gewaltprävention.
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Die Lehrerin stellt fest: „Seit unsere Schule systematisch auf Prävention setzt, hat sich der Ton auf dem Schulhof merklich verändert. Bei Raufereien gehen andere häufiger dazwischen, setzen sich für Schwächere ein.“ Beim Antiaggressionstraining macht die ganze Klasse begeistert mit. Die Kinder lernen, sich selbst zu beruhigen und Konflikte friedlich zu lösen. Einer der Schüler bringt es auf den Punkt: „Das ist ein Fitnesstraining, damit wir cooler werden.“
Inhalt
1. Gewaltprävention: Verschiedene Wege – ein Ziel
1.1 Welche Ziele verfolgen Gewaltpräventions-Projekte?
1.2 Warum werden Kinder überhaupt gewalttätig? Die 5 größten Risikofaktoren
1.3 Was schützt Kinder davor, zu Gewalttätern zu werden?
2. Anti-Aggressionstraining: Wenn Kinder im Ärger feststecken
2.1 Darum sind Aggressionen wichtige Gefühle
2.2 Drei Dinge, die Sie über aggressives Verhalten wissen sollten
2.3 Anti-Aggressionstraining Übungen, Tipps & 5 Strategien
Anti-Aggressionstraining: Wenn Kinder im Ärger feststecken
Wer an Gewaltprävention denkt, meint zunächst die Schläger. Ihre Aggressionsbereitschaft zu senken, würde bewirken, das Auftreten von Gewalt nachhaltig zu verringern. Doch es ist kompliziert herauszufinden, welche Funktion das aggressive Verhalten für sie hat. Erfahrungen aus der Praxis zeigen außerdem, dass Konflikte eskalieren, weil beide Seiten sich provoziert fühlen. Auch ein Opfer weiß sich oft nicht anders zu wehren: „Ich wollte nicht so fest schlagen, aber es ging nicht anders.“
Darum sind Aggressionen wichtige Gefühle
Aggressionen sind lebenswichtig, denn ihr Ziel ist, drohende Gefahr zu meistern. Im Ernstfall wird der ganze Körper reflexartig in Alarmzustand versetzt, der Blutdruck erhöht, die Muskeln angespannt, die Wahrnehmung verengt auf den Augenblick: Kampf oder Flucht. Der Nachdenk-Modus ist komplett ausgeschaltet, denn lange hin und her zu überlegen, könnte das Leben kosten.
Bei Bedrohung ist „Kämpfen“ der erste Impuls. Wir empfinden Wut, sonst nichts. Selbst die Angst, die jetzt eine schnelle Aktion behindern würde, verschwindet. Alle Umstände, die nicht direkt mit der Bedrohung zu tun haben, sind ausgeblendet. Unterbewusst wird abgecheckt, ob ein Kampf aussichtsreich wäre. Erscheint der Angreifer allzu mächtig, ist die rettende Flucht angesagt.
In unserem Alltag haben wir es nicht mehr mit Attacken wilder Tiere zu tun, doch die Reaktionen sind die gleichen. Jeder Mensch wird unwillkürlich wütend, wenn er sich ungerecht behandelt, beleidigt oder gedemütigt fühlt. Auch hier geht es um Selbstbehauptung. In einer Gesellschaft, die Aggressionen generell verurteilt, ist es schwer, für berechtigte Gefühle von Angst, Frust und Wut einen angemessenen Ausdruck zu finden.
Wut kann ein hilfreicher Motor sein. Sie signalisiert, dass eine Veränderung der Situation dringend notwendig ist, und sie fordert zum Handeln auf. Doch nicht immer ist aktives Handeln möglich. Das Gefühl, ohne Ausweg in der Klemme zu stecken, kann übermächtig werden. Damit es gar nicht so weit kommt, sollte man seinen Wutmotor konstruktiv nutzen – tief durchatmen – und mutig dem Tiger in die Augen schauen.
3 Dinge, die Sie über aggressives Verhalten wissen sollten
Anti-Aggressionstraining Übungen, Tipps & 5 Strategien
Anti-Aggressionstraining setzt auf positive Methoden, um stark gegen Gewalt zu machen. Die Kinder lernen nützliche Strategien und Techniken, um ihre Wut in den Griff zu bekommen und Aggressionen abzubauen. Damit es gar nicht erst zum Ausrasten kommt.
Strategie 1 ⇒ Wahrnehmung
Für Kinder ist es nicht leicht, Situationen richtig zu deuten. Spiele zur Wahrnehmung sensibilisieren die Kinder. Optische Täuschungen etwa machen bewusst, wie leicht man sich irren kann. Und wie wichtig genaues Hinschauen ist. Auch an Sprachspielen haben Kinder viel Spaß. In Rollenspielen wechseln sie die Perspektive und üben, sich in andere einzufühlen und Unterschiede zu akzeptieren.
Strategie 2 ⇒ Bewegung
Hier werden Aggressionen nicht unterdrückt, sondern kontrolliert rausgelassen. Beispielsweise bei Übungen aus Kampfsportarten wie Boxen oder Tai Chi. Im sportlichen Wettkampf mit gepolsterten Anti-Aggressionsschlägern und Fandango-Strikern toben die Kinder sich gefahrlos aus. Ballsportarten stärken zusätzlich den Teamgeist. Entspannend wirken Sportarten wie Joggen, Yoga oder Tanzen. Kleine Bewegungspausen lassen sich jederzeit auch im Unterricht einschieben.
Strategie 3 ⇒ Beruhigung
In Fantasiereisen lassen sich Wünsche und wohltuende Zustände visualisieren, quasi vorwegnehmen. Entspannungsübungen, bei denen die Kinder bewusst und tief atmen, senken die Herzfrequenz und lösen Anspannung. „Stopp – atme – beruhige dich“, diese Formel sollten die Kinder in akuten Wutsituationen parat haben. Oft hilft es schon, erst einmal bis 5 zu zählen.
Strategie 4 ⇒ Selbstsicherheit
Wer Provokationen cool abtropfen lassen kann, hat gewonnen. Dazu gehört vorweg, sich selbst gut zu kennen und zu mögen. Was kann ich besonders gut, was nicht so? Was bringt mich auf die Palme? Und was hilft mir wieder runter? Jedes Kind kann eine persönliche Schatzkiste anlegen, in die es Dinge legt, die ihm guttun, Mutmach-Gegenstände, ein lustiges Buch, Fotos, Lieblingsmusik.
Strategie 5 ⇒ Problemlösung
Wenn Kinder sich selbstwirksam erleben, trauen sie sich eher zu, Probleme anzupacken. In Gruppenspielen erfahren sie, dass knifflige Aufgaben sich leichter im Team lösen lassen. Vertrauensübungen stärken den Zusammenhalt in der Gruppe. Verbale Streitkultur gehört ebenso zum Anti-Gewalt-Training wie kreative Ideen und gemeinsames Lachen.
3 schnelle Wut-weg-Spiele:
- Im Raum liegen „Wutzettel“ bereit. Wer wütend ist, nimmt einen, zerknüllt oder zerreißt ihn und wirft ihn in den „Extra-Wut-Eimer“. Dieser Papierkorb wird jede Woche gemeinsam geleert, und die „Wut“ kommt in die Mülltonne.
- Auf einem Tisch liegen ein Plakatkarton und ein dicker Malstift. Wer wütend ist, darf jederzeit hingehen und wortlos seine Wut wegkritzeln.
- Dampf ablassen: Das Kind bläst seine Wut in einen Luftballon, bis er platzt.
Spiel „Gordischer Knoten“:
- Alle Kinder stehen eng beieinander. Sie schließen die Augen und greifen mit jeder Hand nach der Hand eines anderen, möglichst nicht des direkten Nachbarn. Wenn alle so weit sind, öffnen sie die Augen wieder. Nun versuchen sie, den Knoten zu entwirren, dazu steigen sie über Arme hinweg oder kriechen darunter hindurch. Nur nicht loslassen! Am Ende entsteht jedes Mal ein Kreis, in dem alle sich bei den Händen fassen.
Der Schlüssel zu einem harmonischen Klassenzimmer
Aus wilden Raufbolden machen Sie keine Lämmchen – das soll auch gar nicht Ziel der Übung sein. Entscheidend ist, dass jedes Kind sich anerkannt fühlt und Selbstwert erfährt. Wenn Kinder die Wirkung ihres Mitgefühls entdecken, ist der Teufelskreis der Gewalt durchbrochen. Indem Sie Freundlichkeit leben und lehren, legen Sie den Grundstein.
Beziehen Sie die ganze Klasse in die Lösung mit ein. Kinder sind weitaus motivierter, Fair-Play-Regeln einzuhalten, die sie selbst aufstellen. Ein gemeinsam formulierter „Friedensschwur“ kann als Plakat aufgehängt oder festes Ritual im morgendlichen Stuhlkreis werden.
Empfehlungen:
Quellen / Literatur mit Infos & Materialien zur Gewaltprävention, die Ihre Arbeit unterstützen:
Naomi Drew: Mobbing-Prävention in der Grundschule. 120 Spiele, Übungen und Arbeitsblätter. Mühlheim (Verlag an der Ruhr) 2012.
Günther Gugel: Handbuch Gewaltprävention III. Für den Vorschulbereich und die Arbeit mit Kindern. Grundlagen – Lernfelder – Handlungsmöglichkeiten. Tübingen (Institut für Friedenspädagogik) 2014.
Jesper Juul: Aggression. Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist. Frankfurt a. M. (Fischer) 2014.
Rosemarie Portmann: Die 50 besten Spiele für mehr Sozialkompetenz. München (Don Bosco) 2009.
Rosemarie Welter-Enderlin: Resilienz und Krisenkompetenz. Kommentierte Fallgeschichten. Heidelberg (Carl-Auer) 2012.
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