Wo bleiben die Männer? Darum braucht die Kita mehr Erzieher
Elisa Morel
Lediglich 3 % der Erziehenden im Bereich der Kindertagesstätten in Deutschland sind Männer – ein sehr geringer Anteil, der das tatsächliche Verhältnis von Männern und Frauen in unserer Gesellschaft nicht abbildet. Daher ist die Kita-Umgebung nicht so vielfältig, wie sie sein sollte und könnte, um Kindern in ihrer Persönlichkeitsentwicklung verschiedene Impulse und Werte zu vermitteln.
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Seit vielen Jahren gibt es immer wieder Initiativen, die für mehr Erzieher in Kindergärten werben, doch noch immer ist dieser Beruf eine Frauendomäne. Woran das liegt und warum das schade ist, lesen Sie im Folgenden.
Inhalt
1. Erzieher in der Kita – ein Überblick
2. Gründe für den Frauenüberschuss in der Kita
3. Warum mehr Männer dem Kita-Betrieb gut tun würden
3.1. Vorteile für die Kinder
3.2. Vorteile fürs Team
Gründe für den Frauenüberschuss in der Kita
Es gibt zahlreiche Gründe, aus denen Männer im Kita-Betrieb noch immer stark unterpräsentiert sind:
- Die Aufgabe der Kindererziehung wird traditionell noch immer eher Frauen zugeschrieben.
- Der Erzieher-Beruf erfährt sozial wenig Anerkennung, wie es oft bei den sogenannten Frauenberufen der Fall ist.
- Die Tätigkeit als Erzieher wird schlechter entlohnt als viele sogenannte Männerberufe; in den ersten zwei Jahren der schulischen Ausbildung gibt es kein Gehalt.
- Männliche Erzieher fühlen sich in einem Frauen-Team oft deplatziert.
- Vorurteile erschweren Männern den Beruf des Erziehers in Kindergärten.
Diese Gründe sind breit gefächert, daher ist es unwahrscheinlich, dass innerhalb der nächsten Jahre ein höherer Anteil männlicher Erzieher in Kitas zu erwarten ist.
Warum mehr Männer dem Kita-Betrieb gut tun würden
Im Kindergarten sollen den Kindern geltende Werte vermittelt werden. Dazu gehört auch das Bewusstsein über gesellschaftliche Vielfalt. Tatsache ist aber, dass in Kindertagesstätten und Kindergärten fast ausschließlich Frauen arbeiten und die Kinder folglich fast keinen Kontakt zu Männern haben. Somit bildet das Umfeld der Kita nicht die realen Verhältnisse ab.
Hinzu kommt, dass im Jahr 2019 die Zahl der alleinerziehenden Mütter in Deutschland bei 1,34 Millionen lag (185.000 Männer waren alleinerziehend). Es gibt also zahlreiche Kinder, die in ihrem näheren Umfeld keinen Mann als Vaterfigur, Rollenbild oder Bezugsperson haben. Mehr Erzieher in Kindergärten könnten diesem Umstand entgegenwirken.
Vorteile für die Kinder
Alle Kinder profitieren auf vielfältige Arten von männlichen Erziehern:
- Erleben eines partnerschaftlichen Umgangs miteinander
Sie erfahren im Kita-Alltag Aufmerksamkeit und Wertschätzung von beiden Geschlechtern und lernen einen partnerschaftlichen Umgang zwischen Mann und Frau auch dadurch, dass er ihnen durch das Erzieher-Team vorgelebt wird.
- Verschiedene Interessen der Kinder werden abgedeckt
Männliche Erzieher können manche Bedürfnisse der Kinder eventuell besser stillen, z. B. wenn es um oftmals doch eher jungen- oder männertypische Interessen und Bedürfnisse wie Handwerken oder Toben geht. Natürlich haben auch Mädchen Spaß und Interesse daran, aber vielleicht ist manche Erzieherin dabei dann doch froh über männliche Unterstützung, besonders wenn sie selbst den Spaß am Toben, Handwerken oder auch Kochen nicht so ganz teilt.
- Erfahren eines positiven Männerbildes
Die Kinder erleben außerdem ein männliches Rollenvorbild. Durch die Präsenz eines Erziehers können Jungs ihr eigenes Verständnis von Männlichkeit entwickeln. Besonders Kinder, die in ihrem Alltag auf männliche Bezugspersonen oder positiv besetze Männerrollen verzichten müssen, haben Gelegenheit, zu erfahren, dass auch ein Mann liebevoll mit ihnen kuscheln oder ihnen vorlesen kann, sich für sie interessiert und sie bestärkt.
Männliche Empathie für Jungen
Männliche Erzieher haben oft eine andere Wahrnehmung, wenn es um das Verhalten der Jungen in der Kita geht. Sie können sich besser in deren Gefühle hineinversetzen und ihnen mit ihrer eigenen Erfahrung helfen.
Gleichberechtigung in der Sexualität
Auch der Aspekt der Sexualität ist nicht zu vernachlässigen. Beispielsweise beim Schwimmengehen fühlen sich manche Jungen in der Umkleide für Männer mit einem Erzieher wohler, als die Erzieherin in die Damenumkleide begleiten zu müssen.
Vorteile fürs Team
Ein gemischtes Team profitiert von mehr Vielfalt, neuen Ideen und einem breiteren Spektrum an Fähigkeiten und Fertigkeiten. Männliche Fachkräfte werden von ihren Kolleginnen, den Kindern und auch deren Eltern zumeist als große Bereicherung empfunden.
Zusätzlich berichten Erzieherinnen, dass ihre männlichen Kollegen von den Kindern eher ernst genommen werden als sie selbst und auch oftmals besser in der Erziehung zur Selbstständigkeit sind, während die weiblichen Kollegen früher helfend einschreiten, anstatt abzuwarten, bis die Kinder kleine Herausforderungen alleine gemeistert haben.
Kitas mit gemischten Teams erfreuen sich außerdem bei Eltern großer Beliebtheit: Die Plätze sind begehrter als bei Einrichtungen mit homogenen Teams. Wie fast überall gilt: Die Mischung machts und Kommunikation sowie Reflexion sind unerlässlich für ein gelungenes Miteinander.
Vorurteile gegen Erzieher
Leider gibt es noch immer Vorurteile gegen männliche Erzieher, und zwar von mehreren Seiten:
- Pädophilie und Kindesmissbrauch
Einige Eltern haben ein mulmiges Gefühl dabei, wenn ihr Kind von einem Mann betreut wird, vor allem, wenn es um körperliche Nähe oder Vorgänge wie das Wickeln geht. Somit haben Erzieher oft mit dem Vorurteil zu kämpfen, sie seien im schlimmsten Fall pädophil veranlagt und würden sich deshalb für diesen Beruf entscheiden. Tatsächlich sind solche Vorkommnisse Einzelfälle und in vielen Kitas gibt es Kinderschutzkonzepte, um Übergriffe auf Kinder innerhalb der Einrichtung sowohl von Erzieherinnen als auch Erziehern zu verhindern.
- männliches Machtstreben
Erzieherinnen befürchten, dass Frauen durch Männer aus leitenden Positionen verdrängt werden könnten, denn aktuell gibt es im Kita-Bereich überdurchschnittlich viele Frauen in Führungspositionen oder mit leitenden Aufgaben, während die Männer im Jahr 2016 nur einen Anteil von knapp 5 % ausmachen.
- traditionelles Rollenbild
Männliche Erzieher müssen sich oft in ihrem Bekanntenkreis dafür rechtfertigen, einen »Frauenberuf« auszuüben, den Frauen ja »viel besser können«, oder sich die Frage gefallen lassen, warum sie sich denn nichts »Richtiges« suchen würden.
Gleichzeitig wird historisch noch immer den Frauen die Aufgabe der Kinderbetreuung und -erziehung zugeschrieben, während der Mann das Geld für die Familie verdient. Dabei forderte schon Friedrich Fröbel (1782 – 1852), der Begründer des Kindergartens, männliche Pädagogen.
- Sexismus seitens der Erzieherinnen in gemischten Teams
Manche Erzieher machen die Erfahrung, dass viele angeblich typisch männlichen Aufgaben wie das Tragen von Getränkekisten oder handwerkliche Dinge stillschweigend ihnen überlassen werden. Auch wenn sie selbst weder Talent für Reparaturen haben und schwere Gegenstände sogar in einem reinen Frauen-Team den Weg in die Einrichtung finden.
Auch hier empfiehlt es sich, offen über alle bestehenden Bedenken zu sprechen – sowohl im Team als auch mit den Eltern. Nur so können Vorurteile abgebaut werden, die anderenfalls einer gelungenen Zusammenarbeit im Sinne der Kinder im Wege stehen.
Initiativen für mehr Männer in Kitas
Bereits 2013 gab es das Modellprogramm »MEHR Männer in Kitas« der Bundesregierung, bestehend aus 16 Modellprojekten deutschlandweit. Ziel war es, Wege zu finden, um langfristig das EU-Ziel von einem 20-prozentigen Anteil männlicher Erzieher in Kitas zu erreichen. Generell hat sich seit 2006 der Anteil männlicher Kollegen im Kita-Bereich gesteigert, vor allem, wenn man auch Praktikanten und junge Männer im Bundesfreiwilligendienst berücksichtigt. Auf diese Weise ergibt sich von 2006 zu 2019 eine Steigerung um 290 %, von damals 3,1 % auf 6,6 %. Doch weiterhin liegt der Anteil männlicher Fachkollegen weit unterhalb des gewünschten Ziels.
Auch für Quereinsteiger gibt es viele attraktive Programme. So wird z. B. die Ausbildung vergütet oder es ist möglich, die Dauer der Umschulung durch Vorbildung oder Berufserfahrung zu verkürzen. Doch der aktuelle Anteil von 3 % Männern in Kitas lässt erahnen, dass all der gute Wille bis jetzt noch nicht ausgereicht hat, um zu einem ausgewogeneren Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Fachkräften beizutragen.
Entscheidend ist vielmehr, dass Erzieher und Erzieherinnen ihr eigenes Verhalten in Bezug auf stereotype Geschlechterrollen reflektieren und die Gesellschaft als Ganzes am Abbau von Vorurteilen arbeitet. Das ist gar nicht so einfach, zumal beim Thema »Männer in Kitas« ein Widerspruch immer wieder ins Auge sticht: Männer sollen für Jungen Rollenvorbilder sein, aber gleichzeitig demonstrieren, dass es in der Ausübung der Tätigkeit als Erzieher keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern gibt. Es zeigt sich also einmal mehr, wie viel es noch zu ändern gilt.
Lesen Sie mehr:
Männliche Fachkräfte in Kindertagesstätten – Eine Studie zur Situation von Männern in Kindertagesstätten und in der Ausbildung zum Erzieher, ein Forschungsprojekt der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin und Sinus Sociovision GmbH, Heidelberg/Berlin, 2015: www.bmfsfj.de/resource/blob/94268/a974404ff4a9f51a20136bfc8a1e2047/maennliche-fachkraefte-kitas-data.pdf
Zahlen alleinerziehender Mütter und Väter in Deutschland 2019, 2021: www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61581/alleinerziehende#:~:text=Im%20Jahr%202019%20gab%20es,mit%20mindestens%20einem%20minderjährigen%20Kind
Artikel über männliche Erzieher in Frankreich: Yveline Jaboin: C’est bien… un homme à l’école maternelle!, Dans Nouvelles Questions Féministes 2010/2 (Vol. 29), pages 34 – 45: www.cairn.info/revue-nouvelles-questions-feministes-2010-2-page-34.htm
ESF-Bundesmodellprogramm „Quereinstieg – Männer und Frauen in Kitas“, 2015: www.chance-quereinstieg.de/forschung-beratung/modellprogramm-quereinstieg/
Artikel über männliche Erzieher und Vorurteile: www.eltern.de/kleinkind/kinderbetreuung/männer-kitas-ja-aber
Artikel über männliche Erzieher in Norwegen, 2011: www.erzieherin.de/maenneranteil-in-norwegens-kitas.html
Überblick über das Modellprogramm „MEHR Männer in Kitas“ der Bundesregierung, 2011: www.esf.de/portal/DE/Ueber-den-ESF/Geschichte-des-ESF/Foerderperiode-2007-2013/ESF-Programme/programme/bmfsfj_maenner_in_kitas.html
Artikel über den Mangel an Erziehenden in Deutschland, 2021: www.handelsblatt.com/politik/deutschland/fachkraeftemangel-weil-hunderttausende-erzieher-fehlen-ausreichend-kita-plaetze-in-diesem-jahrzehnt-nicht-mehr-moeglich/27541878.html?ticket=ST-14213083-c337NCzTqE42JpvF2hbA-ap5
Tim Rohrmann: Wofür ein Mann gebraucht wird … aus: Kindertageseinrichtungen aktuell KiTa spezial, Nr. 2/2001, S. 35 – 38, überarbeitete Fassung von 2005: www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/ausbildung-studium-beruf/ausbildung-allgemeines-gender-aspekte/1352
Artikel über die Gründe für mehr Männer in Kitas, 2018: https://www.kita-fuchs.de/ratgeber-paedagogik/beitrag/thema-mehr-maenner-in-kitas-warum-eigentlich/
Artikel über männliche Erzieher in England, erschienen in Manchester Evening News, 2021: www.manchestereveningnews.co.uk/news/greater-manchester-news/men-make-up-just-3-19876623
Überblick über männliche Erzieher in Norwegen, 2011: www.nifbe.de/component/themensammlung?view=item&id=34:maenner-in-kitas-ein-blick-ueber-den-internationalen-tellerrand-ein-bericht-aus-norwegen&catid=46
Programm für einen Quereinstieg als Erzieherin bzw. Erzieher: quer-einstieg.de/beruf/erzieher/maenner-kitas-erzieher-quereinstieg/
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